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Anton Tschechow
Die Möwe


Premiere: 18. Februar 2006, TASCH 1

Fotos link |

Besetzung:
Inszenierung -
Ausstattung -

Dramaturgie -
Regieassistenz -
Soufflage -
Ekkehard Dennewitz
Andreas Rank (Gast)

Jürgen Sachs
Juliane Nowak
Kerstin Reinsberg
Die Möwe

Darsteller:
Irina Nikolaevna Arkadina - Uta Eisold | Konstantin Gavrilovic Treplev - Stefan Piskorz | Petr Nikolaevic Sorin - Fred Graeve | Nina Michajlovna Zerecnaja - Juliane Beier | Ilja Afanasjevic Samraev - Jürgen Helmut Keuchel | Polina Andreevna - Christine Reinhardt | Masa - Barbara Schwarz | Boris Alekaeevic Trigorin - Stefan Gille | Evgenij Sergeevic Dorn - Peter Radestock | Semen Semenovic Medvedenko - Christian Holdt

Technische Leitung - Fred Bielefeldt | Beleuchtung - Susann Förster | Requisite - Margarita Belger | Maske - Grit Anders | Inspizienz - Ito Grabosch | Ton - Ronald Strauß | Garderobe - Elisabeth Müller | Schneiderei - Eva Nau, Gisela Schmidt, Claudia Siebenborn

Stück:

Zusammen mit dem erfolgreichen Schriftsteller Trigorin und ihrem Sohn Kostja verbringt die Schauspielerin Arkadina ihre Ferien auf dem Landgut ihres Bruders Sorin. Kostja, der ebenfalls Schriftsteller werden möchte, hat ein Drama geschrieben, das er am Seeufer aufführt. Die Hauptrolle spielt Nina, ein junges Mädchen von einem Nachbargut, in das der junge Mann heftig verliebt ist. Nina aber interessiert sich mehr für Trigorin. Kostja bricht die Vorstellung ab, als die Zuschauer sich über Autor und Hauptdarstellerin lustig machen. Verzweifelt über seine unglückliche Liebe und den literarischen Mißerfolg erschießt er eine Möwe und legt sie Nina zu Füßen, mit der Ankündigung, sich auf die gleiche Weise töten zu wollen...


Pressestimmen:

Gießener Anzeiger

Tschechows "Möwe" in Marburg ohne Schlagseiten

Genau aufs Wort gearbeitete, die Zeitlosigkeit betonende Inszenierung von Ekkehard Dennewitz - Gute Ensembleleistung

MARBURG (ts). Grüner Boden, ein paar Stühle, eine Stehleiter und später noch ein kleines Stehpult mit Schreibmaschine. Ansonsten ist die Bühne leer. Das muss genügen, um die Poesie und leise lächelnde Melancholie des russischen Dichters Anton Tschechow (1860 bis 1904) aufleben zu lassen. Und es genügt. In einer sehr genau aufs Wort gearbeiteten und atmosphärisch dichten Inszenierung des Intendanten Ekkehard Dennewitz ist die Komödie "Die Möwe" im Theater am Schwanhof zu sehen.

Die gut zweieinhalbstündige Aufführung besticht vor allem durch eine durchweg erfreuliche, in sich geschlossene Gemeinschaftsleistung. Das Marburger Schauspielensemble leistet sich hier keine Schwachstellen, was ja auch bei Tschechow fatal wäre, denn die Figurenkonstellation seiner fein ausbalancierten Stücke käme bei ungleicher Besetzung nur zu schnell aus dem Gleichgewicht. Dennewitz und seine Schauspieler haben aber gründlich daran gearbeitet, dass dem nicht so ist, und so darf man als Zuschauer eine "Möwe" ohne Schlagseiten genießen.

Wie bei Tschechow nicht anders zu erwarten, geschieht nicht viel an äußerer Handlung. "Seine Menschen", so der Theaterkritiker Georg Hensel, "reden und fühlen aneinander vorbei, sie schweigen sogar aneinander vorbei. Ihr Daseinsgrund ist ihnen abhanden gekommen, sie spielen über die Leere ihres Lebens hinweg und wirken komisch, weil sie so traurig sind." In der "Möwe" möchte jeder das sein und besitzen, was ihm unerreichbar ist. A liebt B, doch B möchte von A nicht geliebt werden, weil er C liebt. C wiederum liebt D - und so fort.

Ohne der literarischen Vorlage Gewalt anzutun, betont Dennewitz äußerst behutsam die Zeitlosigkeit, denn dass Menschen aneinander vorbei reden und schweigen, kommt nicht nur im ländlichen Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts vor. Derart beim Wort genommen, wie es die Regie tut, spürt man, dass Tschechows Welt von unserer heutigen gar nicht so weit entfernt ist. Die Figuren auf der Bühne bleiben mit ihrer Liebe allein, erzählen sich Geschichten, schlagen Mücken tot, rauchen Zigarillos, trinken Wodka, philosophieren und machen Erinnerungsfotos, aber sie füllen damit nicht die innere Leere aus. Gezeigt werden Langeweile und Nichtstun, ohne dass es für das Publikum langweilig wird. Das spricht für die Qualität der Inszenierung, die nicht nur das komplizierte Geflecht der seelischen Beziehungen bloß legt, sondern auch dem Schweigen Raum gibt und dabei einige schöne, stille poetische Momente hervorbringt - etwa wenn aus dem Foyer ein wehmütiges, russisches Lied zur Gitarre herüber weht, als käme der Gesang am Sommerabend vom gegenüber liegenden Ufer des Sees.

Mit jugendlichem Überschwang und Feuer spielt Stefan Piskorz den angehenden Dichter Kostja, der ein grässlich schlechtes Theaterstück auf dem Gutshof seiner Mutter Irina aufführen lässt. Diese Irina erscheint in Uta Eisolds Darstellung als kluge, selbstbewusste, durchaus moderne Frau. Ihrem Liebhaber Trigorin gibt Stefan Gille nicht mit zerzauster Künstlermähne und nihilistischer Note glaubhaft Gestalt. Als Unschuld vom Lande schreitet Juliane Beier als Nina in Reithosen daher; später wirkt sie nicht nur gereifter und weltgewandter, sondern auch schmerzvoller. Als stets räsonierender Arzt zeichnet Peter Radestock das Psychogramm eines Mannes, der als unbeteiligter Beobachter über allem zu stehen scheint. Eine gute Vorstellung gibt auch Fred Graeve, der als alter, kränkelnder Bruder der Gutsherrin meistens im Rollstuhl sitzt, aber anscheinend der Einzige ist, der das Leben noch genießen möchte. Barbara Schwarz spielt die ungeliebte, meist rauchende und Wodka trinkende Masa, Christian Holdt ihren Mann.


Oberhessische Presse

Premiere Die Leere eines unerfüllten Lebens

Marburg. Das Hessische Landestheater feierte am Samstag Premiere mit Anton Tschechows „Die Möwe“. Inszeniert hat den russischen Klassiker Intendant Ekkehard Dennewitz.

von Uwe Badouin Was machen die da eigentlich auf der Bühne?, fragt man sich oft im Verlauf der fast zweieinhalbstündigen Inszenierung. Da hocken sechs Männer und vier Frauen auf einer fast leeren, schwarz abgehängten Bühne (Bühnenbild: Andreas Rank) mit grünem Boden, schleppen Stühle hin und her und ansonsten passiert im Grunde nichts. Sie plaudern über Banalitäten, über Ehrgeiz, über die Liebe, über Geld und Geiz. Sie sprechen zwar miteinander, doch im Grunde spricht jeder nur über sich.

Da gibt es den jungen Schriftsteller Kostja (Stefan Piskorz), der leidet, weil niemand sich für seine Literatur interessiert, schon gar nicht seine Mutter, die selbstverliebte Star-Schauspielerin Arkadina (Uta Eisold). Ihr Geliebter, der Schriftsteller Trigorin (Stefan Gille) ist zwar erfolgreich, doch auch er leidet, weil er nie so gut sein wird wie Turgenjew.

Der alte Sorin (großartig: der 72-jährige Fred Grave) merkt am Ende seiner Tage, dass das Leben irgendwie an ihm vorbeigegangen ist. Der Arzt Dorn (Peter Radestock), früher ein Charmeur und Frauenheld, hat viele eigene Kinder mit anderen Frauen entbunden und flüchtet sich nun in die Philosophie. Allen ist langweilig in ihrem unerfüllten Leben.

Und dann gibt es noch die Liebe in dieser merkwürdig-melancholischen Komödie, die auch gut eine Tragödie sein könnte, wenn nicht alle Protagonisten an ihrem Schicksal selbst schuld wären. Natürlich ist auch die Liebe unerfüllt:

Mascha (Barbara Schwarz) liebt Kostja, wird aber den armen Lehrer Medvedenko (Christian Holdt) heiraten und unglücklich sein für den Rest ihrer Tage. Kostja liebt die naive Nina (Juliane Baier). Die wiederum liebt den Schriftsteller Trigorin, der sie „vor lauter Müßiggang“ ins Verderben stürzen wird. Denn Trigorin wird seine Geliebte nicht verlassen, die nur sich selbst liebt.

„Das ist ja ganz hübsch“, murmelt ein Besucher halblaut. „Aber geht das denn immer so weiter?“ Ja. Zumindest die ersten drei Akte.

Dass es vielen Zuschauern dennoch nicht lange vorkommt, liegt an der Qualität des Textes und an dem konzentriert aufspielenden Ensemble. So liegt über allem die stille Melancholie, die Lethargie einer sterbenden Klasse. Schaut sie euch an und schaut euch an, sagen Tschechow und Regisseur Dennewitz.

In was für einem Leben seid ihr gefangen? Denn alle auf der Bühne spielen Rollen, die sie nicht spielen wollen. Und sie haben weder den Mut noch die Kraft, sich eine neue Rolle zu suchen. So hat man auch kein Mitleid mit diesen komischen Käuzen: Man weiß, diese gelangweilten Typen werden sich nie ändern, auch nicht nach dem dramatischen Schluss. Nie werden sie einem anderen helfen, nie für eine Idee eintreten.

Nach der Pause gibt es einen Bruch: Zwei Jahre sind vergangen, wieder treffen sich alle auf Sorins Gutshof. Kostja wird sich erschießen, als er erfährt, dass die von Trigorin verstoßene Nina noch immer den Schriftsteller liebt, obwohl sie das gemeinsame Kind verloren hat und mehr denn je leidet. Und Trigorin? Der interessiert sich nicht die Spur für die gefallene Möwe Nina.

Doch warum sich Nina so unsterblich in diesen Schriftsteller verliebt, wird nie ganz schlüssig in der Inszenierung. Liegt es an der schauspielerischen Leistung von Stefan Gille, der bis zur Pause eher schüchtern wirkt? Erst nach der Pause verwandelt er sich in in den gedankenlosen Verführer.

Oder liegt es am Regieansatz? In Russland interpretiert man Nina in erster Linie als naives Landmädchen, das von dem gelangweilten Städter verführt wird. Dennewitz dagegen sieht in ihr die junge Karrieristin, die selbstverschuldet an ihrem Traum scheitert.

Da passt der Verführer nicht ins Konzept. So wirkt der Bruch am Ende sehr scharf, wenn Juliane Beier die junge Nina als gehetzte Wahnsinnige zeichnet, die nur mit Mühe ein Mindestmaß an Kontrolle behält.

Dennoch möchte man den Zuschauern wie Arzt Dorn im Stück zurufen: „Ich weiß nicht, vielleicht habe ich keine Ahnung oder bin verrückt geworden, aber mir hat das Stück gefallen.“


Marburger Forum

Das Hessische Landestheater - Theater am Schwanhof

Anton Tschechow – Die Möwe

Premiere: 18. Februar 2006

 

Die Möwe – oder von der Abgründigkeit der russischen Seele

Wirklich? Gemessen an dem verhaltenen Applaus schien das Publikum von dieser oft konstatierten Prämisse nicht überzeugt; und viel schlimmer noch – auch die Schauspieler selbst nicht. Lieblos wäre auf alle Fälle zuviel gesagt, doch distanziert, ja, zurückhaltend, so erschien ihr Agieren auf der Bühne, deren einzige Requisite Stühle (später noch eine Leiter, eine Schreibmaschine, ein paar Decken) waren, die je nach Interaktion und versuchter Kommunikation der Figuren untereinander symbolhaft verschoben und neu arrangiert wurden, jedoch nie zufriedenstellend:

Tschechows Helden sind sich allesamt der Unzulänglichkeit ihres Lebens bewußt und der Unerfüllbarkeit ihrer tatsächlichen Herzenswünsche. – Der schwärmerische Backfisch Nina (Juliane Beier) scheitert an seiner unerfüllten Liebe zu dem Schriftsteller Trigorin (Stefan Gille), dessen Leben darin eingemündet ist, sich von der alternden Schauspielerin Irina Nikolevna (Uta Eisold) eifersüchtig verhätscheln zu lassen. Vergeblich versucht deren Sohn Konstantin (Stefan Piskorz) selbst die Karriere eines Autors anzustreben – seine Worte bleiben schal wie sein blasses Leben selbst, dessen einziger Lichtblick die hoffnungslose Liebe ist, die ihn zu Nina führt. Wiederum sehnt sich Masa (Barbara Schwarz) vergeblich nach Konstantins Zuneigung, wird dafür aber von Medvedenko (Christian Holdt), einem für sie entflammten Lehrer, umworben. Auch Polina Andreevna (Christine Reinhardt), Mutter Masas, führt das Leben einer nicht erhörten Frau, die verzückt den Arzt Evgenij Sergeevic (Peter Radestock) umsorgt, um ihm so vielleicht doch noch einen Funken Leidenschaft abzuringen. Doch während dieser sich entschlossen hat, verkärt Abschied von seiner Jugend zu nehmen, kann es Petr Nikolevic (Fred Graeve) nicht fassen, daß er wirklich alt ist und leidet darunter, im Leben nicht das erreicht zu haben, was er sich vorgenommen hat.

Als Masa erkennt, daß sie vergeblich auf Costias Zuneigung hofft, wendet sie sich Medvedenko zu. Die Konsequenz – wie kann es anders sein – ein unglückliches Familienleben, denn eine Aufgabe ihrer Gefühle zu Constantin – undenkbar. Medvedenko steht schließlich mit ausgebranntem Herzen, bekümmert, alleingelassen da. Nina scheitert genauso an der Verwirklichung ihrer Träume und verkommt zur mittelmäßigen Provinzschauspielerin. Für den Rest des Freundes- und Familienkreises reduziert sich die Welt auf eine Bühne, die zur Stillung ihrer egoistischen Interessen und Belange gemacht wurde – unfähig die Nöte und den Kummer des Gegenübers zu erkennen.

Daß in diesem Leben kein Wandel zu erwarten ist – mehr noch, der seelische Untergang vorhersehbar – darauf verweist die Möwe, die einst aus Trotz und Liebe zugleich geschossen, nunmehr ausgestopft aufbewahrt wird.

Die Möwe – ein um Alltäglichkeiten geschaffenes Stimmungsdrama also, das den Frust und die Ausweglosigkeit, das Gefangensein in Banalitäten formuliert.

Wie schwer deren schauspielerische Darstellung ist, hat diese Marburger Inszenierung bewiesen, denn Melancholie und Gedrücktheit lassen sich nun einmal nicht in groben Gesten und lautem Stimmeneinsatz zum Ausdruck bringen und auch nicht in aufgebrachtem Zigarillopaffen. Ein Lichtblick allein Uta Eisold und Fred Graeve; ein Lichtblick vor allem auch die von Ekkehard Dennewitz, Andreas Rank und Jürgen Sachs gegebene Einführung zum Drama, dem vorgeschalteten Höhepunkt des Abends. Verkehrte Welt. Wie immer.

Tanja von Werner

Gießener Allgemeine Zeitung

Die Zeit der Unschuld ist vorbei

Ekkehard Dennewitz inszenierte Anton Tschechows »Die Möwe« in Marburg

Es hat lange gedauert, bis Ekkehard Dennewitz endlich wieder ein Stück von Anton Tschechow auf den Spielplan des Hessischen Landestheaters setzte. Nach dem »Kirschgarten« 1997 war eigentlich schon für 2002 »Die Möwe« angekündigt, die jedoch jetzt erst vom Intendanten persönlich auf der Guckkastenbühne des Marburger Theaters am Schwanhof realisiert wurde. Um den Schauspielern Platz auf dem Podium ohne Tiefe zu schaffen, hat Ausstatter Andreas Rank auf alles Überflüssige verzichtet und gibt den Akteuren ein gutes Dutzend Stühle an die Hand, die sie immer wieder sorgfältig neu arrangieren, sowie eine Leiter und für den abschließenden vierten Akt nach der Pause zwei Stellwände, die das Arbeitszimmer des jungen Schriftstellers Konstantin markieren.

Auch Dennewitz lässt seinen Schauspielern viel Raum zur Entfaltung ihrer Rollen – fast zuviel möchte man sagen, denn der zähen Inszenierung hätte durchaus der ein oder andere Textstrich gut getan und in manchen Szenen hätte der Regisseur die hysterischen Ausbrüche seiner jungen Darsteller ausbremsen, sie zu leiseren, verzweifelteren Tönen anhalten müssen. Das trifft besonders auf Juliane Beier zu, die als unschuldige Nina in ihrem Theaterspiel auf dem Theater fulminant startet und damit nicht nur die kleine Gesellschaft auf der Bühne betört, dann aber später bei ihrer Rückkehr auf das Landgut als gefallener Engel sich in krampfartige Gebärden flüchtet und so gar nicht zu überzeugen vermag.

Völlig rätselhaft bleibt ihr Verliebtsein in den großen Autor Trigorin – hier knistert es zu keiner Sekunde, ja noch nicht einmal Schwärmerei will sich so recht einstellen. Diesen Schuh muss sich wohl Stefan Gille anziehen, der sich – sorry! – diesmal als Fehlbesetzung erweist. Als Naturbursche, der sein Glück beim Angeln findet, geht er noch glaubhaft durch, aber den Intellektuellen, der die Frauen – aus welchen Gründen auch immer – in seinen Bann zieht, nimmt man ihm nicht ab.

Ein leichtes Spiel für Uta Eisold als reife Schauspielerin Arkadina, die als Mutter zwar versagt, als erfahrene Liebhaberin immer wieder geschickt ihre Netze auswirft, um Trigorin an sich zu binden. Selbst als er ihr für eine kurze Zeit entgleitet und sich in die Affäre mit Nina stürzt, ist es nachher, als wäre nichts geschehen: Das Paar kehrt zur gewohnten Tagesordnung zurück. Auf der Strecke bleibt Konstantin, der sich so sehr nach der Zuwendung seiner Mutter Arkadina sehnt. Stefan Piskorz gibt dieser Figur in jeder Phase ihrer Entwicklung glaubhaft Profil: ungestüm als revolutionierender Geist und Liebender, zärtlich in der Begegnung mit der Mutter beim Verbandswechsel, konsequent, als seine Liebe und sein Lebensentwurf scheitert.

Ein wesentliches Merkmal der Tschechowschen Stücke ist es, dass jeder grundsätzlich den Falschen liebt und – um das Unglück perfekt zu machen – sich in eine Heirat stürzt, die das Dasein noch unerträglicher macht. Das ist auch hier nicht anders: Mascha, von Barbara Schwarz in ständigen Zigarettennebel und Wodkadunst gehüllt, liebt eigentlich Konstantin, erhört dann aber doch den redlichen Lehrer Medwedenko, den Christian Holdt entsprechend täppisch gibt.

Die brave Gutsverwaltersfrau von Christine Reinhardt erträgt geduldig ihren Ehemann, den Jürgen Helmut Keuchel bärbeißig verkörpert – obwohl sie eigentlich seit Jahren den Arzt Dorn begehrt. Peter Radestock übernimmt diesen Part des Frauenverstehers mit einem verschmitzten Lächeln; immer mit einem Liedchen auf den Lippen, scheint er als einziger dieser frustrierten Gesellschaft mit seinem Leben zufrieden zu sein.

Auch Fred Graeve, der mit 72 Jahren noch einmal als Gast auf die Marburger Bühne zurückkehrt, kann als alter Sorin nur eine negative Lebensbilanz ziehen. Doch mit seinen ständigen Nörgeleien und der altersstarrsinnigen Verschrobenheit sorgt er für den ein oder anderen Lacher im Publikum, das geduldig die Premiere am Samstagabend durchhielt, ohne dass hier sonderlich viel von »Anton, dem Zauberer« – wie Dennewitz Tschechow im Programmheft einführt – zu spüren war.

Marion Schwarzmann
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